Die Leitbilder der gegliederten, aufgelockerten und autogerechten Stadt der Moderne haben die Identität der deutschen Städte nach dem Zweiten Weltkrieg verändert. Hatte der Krieg die Gebäude verwüstet, so wurden in der Wiederaufbauphase oftmals die Strukturen der historischen Städte aufgelöst. Durch die räumliche Trennung der Funktionen Wohnen, Arbeiten, Kultur und Freizeit und die Förderung des Individualverkehrs sollte eine Art fließende Stadt-Landschaft entstehen. Stadt und Landschaft sollten demnach nicht mehr voneinander zu unterscheiden sein. Beispiel hierfür ist der Wiederaufbau Kölns, der aus den Parochien der romanischen Stadtkirchen von Schnellstraßen umschlossene Wohninseln gemacht hat. In Berlin haben Aufbau und Neubau der Stadtautobahn mehr zerstört als alle Beschädigungen des Krieges, und aus dem barocken Potsdam sollte eine sozialistische Idealstadt werden. Auf die Veränderungen, die sich hieraus für Krefeld ergeben haben, soll später eingegangen werden.

Heute führen Franchising und Globalisierung dazu, dass Innenstädte einander immer ähnlicher werden. Die Filialen der internationalen Marken verdrängen zunehmend die Vielfalt des traditionellen Einzelhandels. Lokale Bautraditionen verschwinden und die räumliche Konzentration von Handels- und Dienstleistungsgewerbe – Banken, Büros und Kaufhäuser – verdrängt das Wohnen aus der „City“. Die Folge ist die Austauschbarkeit der Innenstädte. Ersatzweise wird das Individuelle und Charakteristische in spektakulären Einzelprojekten mit der Signatur internationaler Stararchitekten gesucht. Diese Bauprojekte sollen das Interesse von Schau- und Kauflustigen über die Stadtgrenzen hinaus wecken. Das ist Bauen der großen Geste, die Aufmerksamkeit der (Fach-) Presse ist garantiert. Aber ist das auch Baukultur? Entsteht hieraus langfristig Identität, oder sind diese ikonischen Einzelbauten selbst Teil des Problems? Antwort auf die Suche nach Identität scheint die Rekonstruktion des verlorenen Originals zu bieten: Berlin baut die Fassade des Stadtschlosses wieder auf und Frankfurt seine historische Altstadt. Hier sollen die Architekten mit Entwürfen in historischer Parzellierung und Kubatur nicht nur Stadtgeschichte zurückbauen, sie sollen Identität bauen. Es ist die Suche nach Authentizität, dem Gefühl des Bekannten, Vertrauten und Überschaubaren.

In Krefeld ist man vor allem stolz auf Mies van der Rohes Villen. Als Kunstmuseen gehören die Häuser Lange und Esters seit den fünfziger Jahren zum kulturellen Selbstverständnis der Stadt. Aus Perspektive der Krefelder Baugeschichte betrachtet, stehen Mies’ Villen allerdings in der Tradition der Sommerhäuser der Seidenbarone wie zum Beispiel Haus Neu-Leyenthal. Denn während die Bauten der Familie von der Leyen in der Friedrichstadt, wie Haus Jörgens und das Floh‘sche Haus, Teil der Krefelder Innenstadt sind, haben weder die barocken Sommerhäuser im Grünen noch Mies’ Villen einen direkten Bezug zum (Innen-) Stadtraum. Die Bekanntheit der Villen sollte daher nicht vergessen lassen, dass es vor allem die räumliche Qualität der Krefelder Innenstadt selbst ist, die, allen Veränderungen zum Trotz, Identität schafft. Denn die Innenstadt, das heißt das Rechteck der Stadtwälle, 1819 von Adolph von Vagedes entworfen, kennzeichnet ein besonderes Verhältnis von Architektur zum Stadtraum. Dieses historische Geviert der Wälle scheint den Krefeldern aber so vertraut und so selbstverständlich, dass der Wert der Stadtanlage und die Kontinuität der Ideen, für die der Vagedes-Plan steht, im Alltag nicht (mehr) gesehen werden. Was den Vagedes-Plan so einzigartig macht, sein historischer Kontext sowie das Potential, das der Plan auch heute noch in sich birgt, soll im Folgenden besprochen werden.

Text: Claudia Schmidt und Jürgen Stoye (Erstveröffentlichung: Die Heimat, Jahrgang 86, 2015)

29. Januar 2019