Das „festliche Castrum der vier Wälle“, wie Walter Kordt den Entwurf von Adolph von Vagedes kennzeichnet, ist ein vielschichtiges Ganzes.4 „Castrum“ bezeichnet eigentlich einen römischen Militärstandort, den zwei Hauptstraßen kreuzförmig durchschneiden und in „Viertel“ teilen. Die Analogie zu Krefeld wird deutlich: „Den Grundriss der alten Stadt bildeten zwei natürlich gewachsene Rechtecke von verschiedener Breite. Die großen Landstraßen schnitten dieses Stadtbild in der Form eines Kreuzes.“5 Die architektonische Strenge weckt Assoziationen mit den Stadtplänen von Mannheim und Karlsruhe, der barocken Stadterweiterung Berlins so- wie mit der Garnisons- und Residenzstadt Potsdam. Doch ist Krefeld selber nie Garnison oder Residenz gewesen. Wie also ist dieser klassizistische Stadtgrundriss entstanden?

Nach dem endgültigen Sieg über Napoleon bei Waterloo war 1815 die bauliche Erweiterung der Stadt Krefeld beschlossen worden. „Bürgermeister J. B. Heydweiller klagte am 25. Oktober 1816: ‚Eine Unmenge Neubauten entstanden in mehr oder minderer Entfernung von der Stadt größtenteils ohne alle Ordnung, weder zu dieser noch unter sich selbst.‘ – Eine Stadterweiterung war die zwangsläufige Folge.“8 Der Geometer Goldammer wurde daraufhin beauftragt, die Stadt zu kartieren. Sein Bestandsplan von 1817 zeigt den Stadtgrundriss, der inzwischen die fünfte Erweiterung erfahren hat. Es ist vor allem die Regelmäßigkeit der seit dem siebzehnten Jahrhundert angelegten Stadterweiterungen, die ins Auge fällt.

Einen Eindruck der Stadt in den Grenzen der fünften Erweiterung gibt der Reisebericht von Baron de Ladoucette (1772 – 1848), Präfekt des Roerdepartements unter Napoleon aus dem Jahre 1814: „Krefeld stellt ein längliches Viereck mit vier Toren dar. Regelmäßig bebaut, kann man es als eine der schönsten Städte an den Ufern des Rheins ansehen. Der Marktplatz ist mit Linden bepflanzt und von prächtigen Häusern gesäumt. Die Stadt ist umgeben von 2000 Gärten, viele von ihnen enthalten Gebäude, von denen man annimmt, dass sie zum Vergnügen da sind. Es gibt Färbereien, wo man von einer besonderen, den still stehenden Gewässern dieses Landes innewohnenden, Eigenschaft Nutzen zieht, um ihrer Seide eine schwarze Farbe zu verleihen, die im höchsten Grade berühmt ist.“10

Die geometrische Regelmäßigkeit der Stadtanlage greift Adolph von Vagedes 1819 in seinem Entwurf für die sechste Stadterweiterung auf: „Für ihn war der Weiterbau einer Stadt ein organisches Gefüge, das, wie jedes Einzelgebäude, umsichtige Lösungen verlangte“.11 Ende 1817 legt Vagedes einen ersten Plan vor: ein langgerecktes Rechteck, das den Umfang der Stadt verdreifacht. Für die Zeit nach den Napoleonischen Kriegen sind das unfassbare Dimensionen und nicht nur Friedrich Heinrich von Conrad von der Leyen ist sicher, dass das aufgeplante Gelände erst nach Jahrhunderten ausgebaut werde.12 Varianten werden diskutiert, darunter die kreuzförmige Stadterweiterung, wozu Rhein- und St.-Anton-Straße verlängert werden sollen. Letztlich aber begrenzt die preußische Baudirektion im Mai 1819 den Plan auf die heute bekannte Form des Recktecks.

In Vagedes’ Entwurf bildet das Grün der Wälle den Übergang zwischen Stadt und Land: „sie leiteten über ‚von der freien, nicht in architektonischen Zwang gefügten Natur über die gebundene, d.h. die künstlich angelegten Baumreihen, zur architektonisch gegliederten Stadt.‘“14 Die Stadtquartiere von verschiedener Ausdehnung werden in einem Rechteck zusammengefügt, wozu die Friedrichstadt nördlich erweitert und die Südstadt gleichmäßig geometrisch eingefasst wird. Vagedes gelingt es dabei, räumliche Besonderheiten dem Ganzen unterzuordnen. Das gilt zum Beispiel für die schräge Einbuchtung der Stadtanlage an der Dionysiuskirche sowie für das ab 1790 errichtete Stadtschloss von der Leyen, das durch die geometrische Fassung immerhin seine Gartenseite einbüsst. Der Wunsch nach einer Platzanlage am Hülser Tor, dem heutigen Friedrichsplatz, hat die Ausdehnung der Stadtanlage weiter nördlich verschoben. „Im Norden schloss von Vagedes die Stadt nicht mit einer Alleeanlage ab, sondern durch eine einfache Verkehrsstraße, die heutige Nordstraße (…) Der jetzige Nordwall (früher Moerser Straße) hat keine Alleeanlagen, er ist lediglich eine erbreiterte Verkehrsstraße, die das Wallrechteck nicht begrenzt, sondern durchschneidet.“15

Text: Claudia Schmidt und Jürgen Stoye (Erstveröffentlichung: Die Heimat, Jahrgang 86, 2015)

28. Januar 2019